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Siemens Energy: Von der Krise zur Krönung – Wie ein deutsches Unternehmen zum Star der Börse wurde
Kaum ein Jahr ist vergangen, seit Siemens Energy AG auf die Hilfe der Bundesregierung angewiesen war, um zu überleben. Heute ist das deutsche Unternehmen Europas bestperformender Wert an der Börse 2024 – mit einer beeindruckenden Kurssteigerung von rund 300 Prozent. Ein Comeback, das selbst Hollywood nicht besser inszenieren könnte.
Eine amerikanische Wendung in der deutschen Erfolgsstory
Während Siemens Energy die Kurve kratzte, spielte ein ehemaliges Schwergewicht aus den USA eine unerwartete Rolle: GE Vernova Inc., ein Ableger von General Electric, spaltete 2023 sein Energiegeschäft ab und schuf damit einen direkten Vergleich zwischen den beiden Stromriesen. Hedgefonds bemerkten schnell, dass Siemens Energy im Vergleich deutlich unterbewertet war. Ein Glücksfall für die Deutschen, der dem Unternehmen neuen Schwung verlieh.
Doch der Weg dorthin war alles andere als einfach. Gegründet als Spin-off der Siemens AG im Jahr 2020, geriet Siemens Energy schnell in die Krise. Probleme mit der Tochtergesellschaft Siemens Gamesa, insbesondere fehlerhafte Windturbinen und massive Verluste, brachten das Unternehmen 2023 an den Rand des Abgrunds. Berlin musste einspringen, allerdings ohne direkte Subventionen: Die Bundesregierung stellte Kontragarantien bereit, während Siemens selbst mit einer milliardenschweren Finanzspritze half.
Windkraft: Fluch und Segen
Die Achillesferse von Siemens Energy bleibt die Windkraftsparte Siemens Gamesa. Missmanagement, überhastete Entwicklungen und die Vernachlässigung von Zuverlässigkeit bei neuen Designs führten zu einem Verlust von über 4,5 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2023. Noch immer schreibt die Sparte Verluste von über 400 Millionen Euro pro Quartal – und eine Besserung wird erst 2026 erwartet.
Doch die Nachfrage nach Windenergie ist ungebrochen, und Siemens Gamesa arbeitet fieberhaft daran, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Immerhin hat das Unternehmen vorerst die Produktion der problematischen Modelle gestoppt und konzentriert sich auf Verbesserungen. Ob das reicht, bleibt abzuwarten.
Elektrizität als Zukunftsmotor
Die wahre Stärke von Siemens Energy liegt jedoch in seinen traditionellen Geschäftsfeldern: Gas- und Dampfturbinen sowie Stromnetze. Der Bedarf an Elektrizität explodiert, angetrieben durch die Digitalisierung, künstliche Intelligenz und den Klimawandel. Die Internationale Energieagentur spricht von einem neuen „Zeitalter der Elektrizität“, mit einer sechsmal höheren Wachstumsrate für Stromverbrauch im Vergleich zur gesamten Energie-Nachfrage bis 2035.
Das Netzgeschäft von Siemens Energy profitierte im Geschäftsjahr 2024 mit einem Umsatzplus von rund einem Drittel und plant, in den kommenden Jahren tausende neue Mitarbeiter einzustellen – ein bemerkenswerter Schritt in einem Land, in dem viele Unternehmen Stellen abbauen.
Kapitalstärke trifft auf Wachstum
Finanziell steht Siemens Energy inzwischen wieder auf festen Beinen. Dank Kundenvorauszahlungen und dem Verkauf von Beteiligungen in Indien ist das Unternehmen aus den roten Zahlen heraus und verfügt erneut über eine positive Nettokassenposition. Allerdings verhindert die Vereinbarung mit der Bundesregierung bislang die Ausschüttung von Dividenden – ein Nachteil im Vergleich zu GE Vernova, das kürzlich ein Aktienrückkaufprogramm und Dividenden ankündigte.
Dennoch: Das beeindruckende Auftragsbuch von über 123 Milliarden Euro und die Prognose eines zweistelligen Umsatzwachstums lassen Anleger aufhorchen. Mit einer anvisierten Gewinnmarge von bis zu 12 Prozent bis 2028 scheint Siemens Energy bestens für die Zukunft gerüstet.
Das Urteil der Märkte
Trotz aller Erfolge bleibt die Bewertung eine Herausforderung. Europäische Investoren sind es gewohnt, dass US-Unternehmen an der Börse höhere Prämien erzielen. GE Vernova wird mit mehr als dem Doppelten der Marktkapitalisierung von Siemens Energy gehandelt, obwohl die Umsätze beider Unternehmen vergleichbar sind. Aber der Trend spricht für die Deutschen: Wenn es gelingt, die Probleme in der Windkraft zu lösen, könnte das Kursfeuerwerk von 2024 erst der Anfang sein.
Siemens Energy hat gezeigt, dass auch in der Krise eine Chance steckt – und dass mit Mut und Vision selbst ein gebeuteltes Unternehmen zur Börsenlegende werden kann.