Ratgeber
Was ist Holokratie und welchen Benefit bringt sie einem Unternehmen?
Gehen wir zunächst auf die Herkunft des Wortes ein. Holos bedeutet im Altgriechischen vollständig oder ganz, während sich kratia auf die Herrschaft bezieht. Die Holakratie beziehungsweise Holokratie meint ein Organisationskonzept in einem Unternehmen, das dem Chef an der Spitze die Macht nimmt und diese auf die gesamte Belegschaft verteilt. Dies beendet den rigiden Führungsstil und bezieht Mitarbeiter massiv in alle Entscheidungsprozesse ein. Wie die Umsetzung erfolgreich gelingen kann und welche Grenzen es gibt, zeigt unser Ratgeber.
Das Konzept von Holokratie sieht maximale Transparenz vor, alle Mitarbeiter eines Unternehmens werden in die Entscheidungen eingebunden und an deren Umsetzung aktiv beteiligt.
Führung ohne Chef: Dynamisches Reagieren durch Holokratie
Ideengeber des Konzepts der Holokratie ist der US-Unternehmer und Gründer von Ternary Software Brian Robertson. Robertson wandte „holacracy“ erstmals im Jahre 2007 in seinem Unternehmen an und entwickelte das Konzept kontinuierlich weiter. Drei Jahre später veröffentlichte er eine „Holokratie-Verfassung“, ein Regelwerk, das die dahinter stehenden Prinzipien genau erläutert. Unübersehbar pausen sich darin agile Softwaremethoden wie Kanban oder Scrum ab.
Umgesetzt wird hier die Erkenntnis, dass Organisationsstrukturen mit straffen Top-down-Hierarchien in den meisten modernen Unternehmen nicht mehr funktionieren (können). Durch Holokratie wird dynamisches Reagieren möglich, wobei die folgenden Punkte im Fokus stehen:
- Selbstorganisation
- Kybernetische Prinzipien
- Agile Methoden
- Kollektive Intelligenz
Bei der Holokratie wird jeder zum Teil selbst zum Unternehmer und dazu ermutigt, Entscheidungen zu treffen. Das erhöht insgesamt die Transparenz. Wer darin eher ein Chaos vermutet, sei beruhigt, denn es gibt selbstverständlich Regeln, an die sich jeder halten muss.
Alle Mitarbeiter nehmen sogleich verschiedene Rollen an. Organisiert sind sie in Kreisen mit klar geregelten Zuständigkeiten. Es sind nun diese Kreise, die nach wie vor hierarchisch angeordnet sind. Kreise, die zu groß werden, können wieder untergliedert werden.
Innerhalb jedes Kreises werden zwei Vertreter oder Botschafter gewählt, die entweder in den höheren oder tieferen Kreis abbestellt werden. Alle Mitarbeiter eines Kreises werden an Entscheidungen beteiligt und sind stimmberechtigt. Durch das „double linking“ der Vertreter verhindert man, dass einzelne Kreise isoliert an den anderen vorbei arbeiten. Das ist gewissermaßen angewandte Soziokratie.
Die vier Säulen der Holokratie
Die Organisationstheorie der Holokratie stützt sich ganz wesentlich auf die vier Leitlinien der oben angesprochenen „Holacracy Constitution“. Diese lassen sich so zusammenfassen:
- Doppelte Verbindung beziehungsweise „double-linking“
Bei dieser Säule der Holokratie geht es um die Kommunikation der verschiedenen Kreise via gewählte Vertreter, die insbesondere auch als Interessensvertreter ihres Kreises fungieren und ihre Stimme in den unter- oder übergeordneten Kreis gleichberechtigt einbringen. - Trennung von operativen Gesprächsrunden und Steuerungstreffen
Das operative Tagesgeschäft soll möglichst ohne Reibungsverluste ablaufen können. Zu diesem Zweck werden Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse klar voneinander abgegrenzt. Die übergeordneten Steuerungstreffen beschäftigen sich bewusst nicht mit Fragen zu den Ressourcen Geld, Personal oder Zeit. So können Ideen und Strategien unabhängig von beschränkenden Parametern entwickelt werden. - Rollenverteilungen
Um Konflikte zu vermeiden, braucht es in einer Holokratie eindeutige Rollenverteilungen, die im Rahmen regelmäßiger Steuerungstreffen gemeinsam definiert oder präzisiert werden. - Dynamische Steuerung
Per integrativer Entscheidungsfindung werden innerhalb der Kreise die Steuerungsentscheidungen von allen gleichberechtigten Mitarbeitern getroffen. Am besten funktioniert dies, wenn eben nicht nach der perfekten, sondern nach einer praktikablen Lösung gesucht wird, die jederzeit korrigierbar ist.
Holokratie verändert das Selbstverständnis der Arbeit
In einem holokratisch organisierten Unternehmen wechseln die Mitarbeiter häufig ihre Rollen, was mit deutlichen Erweiterungen ihrer Tätigkeiten einhergeht. Holokratie führt im Ergebnis zu einer höheren Dynamik des Unternehmens, das heißt zum Beispiel, dass man auf Veränderungen von außen viel schneller reagieren kann. Parallel dazu wird die Motivation der Mitarbeiter gestärkt, was in Summe zu mehr Innovation führt.
Meetings machen wieder Sinn
Die Effizienz der vielen Meetings wird zu Recht immer wieder infrage gestellt. Bei Holokratie wird umgekehrt ein Schuh draus, weil sie ohne Meetings gar nicht funktionieren könnte. Es gibt:
- Operative Meetings
- Strategische Meetings
- Steuerungsmeetings
Wie in jedem anderen Unternehmen sind nicht alle Mitarbeiter wirklich miteinander befreundet. Dennoch kommt es kaum zu persönlichen Animositäten, denn je nach Rolle wirft man seinem Kollegen den Ball zu, ungeachtet des Maßes an Sympathie, das man für ihn hegt.
Es gibt auch kritische Stimmen
In Deutschland gibt es erst wenige Nachahmer, die die Holokratie für sich entdeckt haben:
- Blinkist ist ein Start-up, das in erster Linie Sachbuchtexte zusammenfasst.
- Soulbottles ist ein Berliner Öko-Start-up.
- Deutsche Bahn experimentiert zurzeit in wenigen Bereichen mit Holokratie.
- ESBZ ist eine Berliner Reformschule ohne Schulleitung.
- Noch ein paar mittelständische Unternehmen
Zappos ist ein zu Amazon gehörender Online-Shop mit circa 1.500 Mitarbeitern. Mit dem Segen seiner Angestellten hat die Firma 2015 Holokratie eingeführt und das mit vollem Erfolg. Ansonsten sind es vor allem NGOs in den USA, die das Holokratiekonzept eingeführt haben.
Experten bezweifeln stark, dass sich Holokratie für große Konzerne eignet, weil nicht jeder Typ von Mitarbeiter mit soviel Freiheit beziehungsweise Entscheidungsspielraum umgehen kann, und sie führen dazu auch konkrete Beispiele an.
Ana Karen Jimenez ist Redakteurin beim Deutschen Coaching Fachverlag und hat ihren Bachelor in Literaturwissenschaften und Spanisch an der Eberhard Karls Universität Tübingen abgeschlossen. Sie ist in den Magazinen für lesenswerte Ratgeber und vielfältige Kundentexte verantwortlich.